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Veronika Mayer

"Hochzeiten" von Maike Wetzel

"Hochzeiten" heißt das Erzähldebut der 28jährigen Maike Wetzel, das im Jahr 2000 im Fischer Taschenbuch Verlag erschienen ist.

Begonnen hatte Maike Wetzels Karriere als Autorin bereits mit 6 Jahren, als sie beim Wettbewerb "Kinder machen ein Buch" teilnahm, leider erfolglos.

Bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr gab sie dann das Schreiben auf, da sie "einen großen Zensor in ihrem Kopf hatte, der sagte, du kannst das nicht." "Ich habe aber dann trotzdem mit 16 angefangen zu schreiben. Warum? Weil ich glaube, dass ich auf dem Papier das besser sagen kann, was ich möchte als mit Worten. Gerade wenn ich viel schreibe, habe ich das Gefühl dass ich überhaupt nicht mehr reden kann." sagte sie in einem Interview.

Im selben Jahr, 1990, gewann sie einen Preis für eine Kurzgeschichte beim Wettbewerb "Schüler schreiben", und seither erhielt die junge Schriftstellerin viele weitere: 1997 war sie die jüngste Preisträgerin des Bettina-von-Arnim-Preises, 1998 Stipendiatin des Klagenfurter-Literaturkurses im Rahmen des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs und 1999 Gewinnerin beim Literaturwettbewerb der Zeitschrift "Allegra" für ihre Kurzgeschichte "Hochzeiten", der Titelgeschichte des vorliegenden Erzählbandes.

Nebenbei studierte die vielbeschäftigte Autorin von 1994 bis 2000 an der Hochschule für Fernsehen und Film in München Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik (im Rahmen des Studiums hat sie auch schon einige ihrer Kurzgeschichten verfilmt, u.a. "Hochzeiten" zusammen mit Tankred Dorst) und arbeitet seit 1991 als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften wie die Süddeutsche Zeitung, die Zeit und das FAZ-Magazin.

"Hochzeiten" ist nun der Sammelband ihrer in den letzten Jahren verfassten Kurzgeschichten.

Die zehn Kurzgeschichten des Bandes beschäftigen sich alle mit den Problemen junger Menschen, die auf der Suche nach Liebe sind, diese jedoch nicht oder nur für kurze Zeit finden und danach wieder in den Problemen des Alltags versumpfen. Wie Jule, die Protagonistin der ersten Erzählung "Einmal Schweden". Sie lernt Gunnar in Schweden kennen, nachdem sie sich von ihrem Freund getrennt hat ("He annoyed me, sagte sie zu Gunnar.", S. 11). Gunnar schreibt für den schwedischen Möbelkonzern mit vier Buchstaben die Bauanleitungen, "seine Welt war fest und klar" (S. 9), er hat Frau und Kind und verbringt den Sommer in den Schären. In diese heile Welt bricht nun Jule ein, da sie, "bitteschön, von Gunnar gerettet werden will" (S. 9). Die Beziehung zu dem verheirateten Mann scheitert jedoch, da Jule "im Prospekt nicht vorgesehen" (S. 15) war und deshalb von Gunnar nicht gerettet werden kann. Sie kehrt zurück nach Deutschland, er bleibt bei seiner Familie in Schweden. Ähnlich wie Jule geht es auch der Ich-Erzählerin Rosalie aus der Titelgeschichte des Buches, "Hochzeiten". Rosalie hat einen verheirateten Geliebten, wünscht sich "ein Leben" und ein Kind, beides kann ihr ihr Freund nicht bieten. Auf der anderen Seite ist da Rosalies Mutter, die in einer Imbissbude arbeitet und den illegal in Deutschland lebenden Marokkaner Faisal heiratet, obwohl doch eigentlich Rosalie mit dem Glücklichsein an der Reihe wäre. Am Ende der Geschichte sitzt Rosalie mit einer "Kokosnuss unterm Hemd" bei ihrer Mutter, wer der Vater des ungeborenen Kindes ist bleibt unklar.

"In der Zwischenzeit" sucht Martin "ein patentes Mädchen. Eine, die mehr als Vanillepudding kann. Eine, die ihr Leben im Griff hat." (S. 31). Die Ich-Erzählerin antwortet: "Ich will einen und noch einen" und geht von Martin zu David und mit ihm zur Love-Parade, um dort alles hinter sich zu lassen. Die Erfahrungen im Drogenfieber zeigen ihr jedoch, dass sie nicht glücklich ist. Sie merkt aber auch, dass sie, "um sich umzubringen, auf die Fahrbahn treten muß" (S. 40). Sie will ihr Leben in den Griff bekommen, schafft es aber nicht.

In "Der König" beschreibt die Ich-Erzählerin den Alltag und das Leben der Nachbarsfamilie. Der Vater, der König, hat im Lotto gewonnen, sich daraufhin ein Haus gekauft, in dem er mit seiner Tochter lebt, die Mutter hat die Familie verlassen. Das merkwürdige Verhalten der Tochter fällt der Ich-Erzählerin, die selbst noch ein Kind ist auf. Sie und ihrer Schwester nennen den Vater nur "König", das merkwürdige Mädchen "Gärtnerin", weil sie den ganzen Tag im Garten arbeitet. Was in der Familie wirklich vorgeht, erfährt der Leser nicht, die kindliche Perspektive des lyrischen Ich verbietet nähere Einblicke. Man kann nur raten, dass es sich um einen sehr tristen und kranken Alltag in dieser Familie handelt.

Maike Wetzels Erzählungen handeln alle von alltäglichen Situationen, die jedoch nicht von alltäglichen Menschen, sondern von vom Glück benachteiligten Menschen erlebt werden. Sie alle sind materiell nicht gut gestellt, arbeiten in einer Imbissbude oder sind Besitzer einer Reparaturwerkstätte, wohnen an der Stadtautobahn oder bei verschiedenen Freunden, haben keine Perspektive im Leben und versuchen, ein kleines bisschen Glück abzubekommen. Dieses Glück suchen sie in einer Beziehung zu einem anderen Menschen, einem Menschen, der für sie da ist und mit ihnen durchs Leben geht. Und sie alle scheitern. Maike Wetzel: "Also es geht in allen Geschichten um Beziehungen in irgendeiner Form. Ich würde sie nicht als Liebesgeschichten bezeichnen, es gibt ein paar, wo es um Liebespaare geht, aber es geht eigentlich darum, dass alle Protagonisten in den Geschichten versuchen, sich über die Beziehung selbst zu definieren, sich selber zu finden und meistens daran scheitern." (BR-Online)

Wie in der Erzählung "Lou", die in dem bedrückenden Umfeld eines Pflegeheimes oder einer psychiatrischen Klinik spielt und aus der Sicht einer siechenden Patientin geschrieben ist. Der Alltag ist das Warten auf den Tod, zusammen mit mehreren anderen Kranken, die alle in einem Zimmer liegen. Der einzige Lichtblick ist Lou, ebenfalls eine Patientin, in die alle anderen verliebt sind, einfach aufgrund der Tatsache, dass sie anders ist: sie spricht mit keinem, lässt abends ihre Schläppchen übers Bett tanzen, hat Augen wie ein Hase und zeigt, im Gegensatz zu den anderen ihre Angst. Sie verkörpert für die anderen das Leben und den Tod.

Maike Wetzels Geschichten werden alle ohne erkennbare Höhepunkte erzählt, sie beschreiben einfach den Alltag und die Lebenssituationen der jeweiligen Figuren. Und gerade dieses "Dahinplätschern" macht die Geschichten interessant. Sie beschreiben eine schwierige Situation und ihren meist unglücklichen Fortgang, ohne jedoch den Anfang oder das Ende klar gestaltet anzubieten. Es bleibt immer dem Leser überlassen, die Geschichte zu Ende zu denken. Und meist ist es unmöglich, ein Happy-End heraufzubeschwören. Auf die Frage warum dies so ist, antwortet die Autorin, dass es für sie das Schönste sei, wenn sie Gefühle und Anregungen an die Phantasie der Leser übertragen kann. Sie wolle "auf ihre Erzählungen kein Happy-End draufpfropfen wie es bei Hollywood-Filmen gemacht wird".

Die Figuren der Geschichten sind meist selbständige und selbstbewusste Frauen, die keinen Mann suchen, der sie nach seinen Vorstellungen gestalten, "bepinseln" kann, wie eine Leinwand, sondern einen Mann, der sie für kurze Zeit aus dem Alltag holt. Mit dieser neuen Rolle können jedoch meistens die Männer nicht umgehen, was dann zum Scheitern der Beziehungen führt. Bezeichnend für diese Konstellation ist die Erzählung "Stelldichein". Mark und Jana arbeiten zusammen und haben eine Beziehung. Mark wünscht sich, der einzige für Jana zu sein, aber "Jana schläft mit Mark und Dieter und Stefan. Sie schwört keinem Liebe bis zum ersten Tag. Mark will, dass sie ihn einmal richtig ansieht, dass sie ihm einmal sagt, dass er genug sei."(S. 111-112). Obwohl Mark durch Janas Verhalten verletzt wird, kann er sich nicht lösen, er versucht es, lässt sie aber immer wieder in sein Leben zurück, in der Hoffnung, sie ändern zu können.

Der Stil Maike Wetzels ist sehr klar. Kurze, prägnante Hauptsätze bestimmen die Erzählungen. Die erzählten Situationen gleichen Bildbeschreibungen, die Darstellung der Gefühle der Protagonisten ist sehr einfach und dabei sehr komplex. Wie Jule aus der Erzählung "Einmal Schweden", die von Gunnar gerettet werden will, und das sehr vehement fordert ("Sie kannte ihn nicht. Ihm war es egal. Er solle sie retten - bitteschön. Gunnar lächelte nachsichtig." S. 9).

Fast alle Erzählungen des Bandes sind in der Form des Ich-Erzählers, wobei die Person des lyrischen Ichs sehr stark variiert: mal ist es ein Kind, das die Nachbarsfamilie beobachtet, mal ein junges Mädchen, das sich nicht auf einen Mann festlegen will, mal eine pflegebedürftige Kranke, die im Heim auf den Tod wartet. Nur zwei Erzählungen fallen aus dieser Form, "Einmal Schweden" und "Stelldichein". Die Frage, ob diese Form des Erzählens auf autobiographische Hintergründe schließen lässt, verneint die Autorin jedoch entschieden.

Maike Wetzel gelingt es mit ihrer klaren und ungeschmückten Sprache Bilder im Kopf des Lesers zu erzeugen. Ob das das Milieu einer Verkäuferin in einer Imbissbude ist, die Stimmung in einem Touristenort am Meer in der Nachsaison oder die Gefühle eines Mädchens während der Love-Parade in Berlin. Man spürt die Stimmung, glaubt zu erkennen, wie alles aussieht und kann sich voll und ganz auf die jeweilige Situation einlassen.

Maike Wetzel Debut "Hochzeiten" wirkt nicht unbedingt wie ein Erstlingswerk. Sie hat einen sehr eigenständigen Stil, der nicht auf eine Anlehnung an irgendwelche Vorbilder hinweist. Ihre Kurzgeschichten sind auch nicht reine Nacherzählung bestimmter Erlebnisse oder Situationen, sondern sie schafft es jeweils aufs Neue die Stimmungen und Situationen anders darzustellen.

Sie selbst möchte sich mit "Hochzeiten" nicht in die Reihe der jungen Popliteraten stellen lassen, die alle in erster Linie ein Produkt der Medien sind und deshalb ihre Bücher verkaufen können. Wobei sie zugesteht, dass das derzeitige öffentliche Interesse an jungen, wilden Autoren ihr selbst Türen geöffnet hat. Jedoch hofft sie trotz allem, dass dieses "neue Interesse" an jungen Autoren nicht nur vorübergehend sein wird: "Ich hoffe, dass die Entwicklung [des Literaturmarktes] so sein wird wie mit dem Kino. Anfang der 90er ist kein Mensch ins Kino gegangen, und heute ist das völlig normal und jeder redet ganz selbstverständlich über Filme, die rauskommen. Das gehört einfach zur Alltagskultur. Ich hoffe, das passiert auch mit der jungen Literatur. Ich finde, vorher war der Zustand eher unnormal. Es gab nur Nachkriegsgenerationsautoren, was auf Dauer ungesund war, weil nichts nachkam und weil eine bestimmte Generation überhaupt nicht repräsentiert war. Ich hoffe, dass meine Generation, dass also wir, sozusagen, weiterwachsen."

[Maike Wetzel: Hochzeiten. Collection S. Fischer, Frankfurt am Main 2000, S.128, € 10.-]

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