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Nadine Kriegler

Rebecca Casati, "Hey Hey Hey"

Nach der Lektüre von Rebecca Casatis Erstling "Hey Hey Hey" kam mir als erstes Maxim Billers Definition von Popliteratur in den Sinn. In diese Kategorie gehören nach Meinung des Autors "Romane, die man in einem Ruck durchliest. Die man liebt, die man genauso atemlos und gebannt durchlebt wie eine gute Reportage, einen prima Film". So ein Buch ist "Hey Hey Hey"; man nimmt es zur Hand, macht es sich damit gemütlich und legt es dann erst ein paar Stunden später, wenn man auf der letzten Seite angekommen ist, wieder weg. Leider ist der Roman dann auch genauso schnell wieder vergessen. Da ist nichts, das hängen bleibt, nichts, das einen Denkprozess in Gang setzen könnte.

Die Story lässt sich schnell erzählen: Der namenlose, männliche Ich-Erzähler, Redakteur bei Amazon, hat es sich zum Ziel gemacht, sich einmal "durchs Alphabet zu ficken", also zu jedem der 26 Buchstaben ein passendes Mädchen ins Bett zu bekommen. - Ich möchte an dieser Stelle bemerken, dass eine weibliche Hauptfigur hier sicherlich wesentlich interessanter gewesen wäre, schließlich erwartet man von Männer derartige Spielchen ja schon fast(zumindest in Romanen).-
Im Roman wird eine fiktive Gesprächssituation hergestellt, der Erzähler wendet sich, wie es scheint, immer wieder direkt an den Leser. Das Ganze entpuppt sich dann aber am Ende völlig unspektakulär als Dialog mit der Nachtschwester im Krankenhaus
Die Handlung setzt ein, als der Erzähler schon gut die Hälfte aller Buchstaben erfolgreich abgehakt hat, wobei sein gutes Aussehen und seine manipulativen Fähigkeiten sicherlich von großem Vorteil waren. Falls nichts mehr hilft, gibt es da noch immer den einen ultimativen Satz, bei dem angeblich alle Mädchen schwach werden: "Wir - gehören - zusammen".
Alle Damen sind theoretisch untereinander austauschbar, was man schon daran sehen kann, dass sie immer nur beim jeweiligen Anfangsbuchstaben genannt werden. Sobald die Situation dann unangenehm oder langweilig wird, serviert der Erzähler das aktuelle Mädchen nach immer demselben Schema ab, das gehört zum "Masterplan". Casati schildert diese Dialoge immer in direkter Rede. Benutzt der Erzähler die Worte: "Hey Hey Hey", weiß der Leser; das Mädchen ist gleich Geschichte.
"Hey Hey Hey" ist der Titel eines Beatles-Songs, das rote und blaue Album der Gruppe ist nämlich laut Eigenaussage der Soundtrack zum Leben des ‚Helden'. Das klingt doch schon wieder verdächtig nach Popliteratur.

Mädchen werden von der Hauptfigur eingeteilt in verschiedene Kategorien wie Porno-Mädchen oder Kaugummi-Mädchen. An dieser Stelle gelingt Casati eine treffend-böse und trotzdem lustige Schilderung: "Ihre schmutzig blonden Haare liegen oben glatt am Kopf an, sie werden von einem Gummiband am Hinterkopf zusammengehalten und explodieren dann in riesigen gekräuselten Pferdeschwänzen. Ihre Jacken sind aus weißem Plastik, ihre Jeans sind eng und hell und als Klingeln haben sie in ihre Mobiltelefone ein Lied von Eminem eingespeichert. Sie kauen Kaugummi, stampfen auf ihren Plateausohlen daher..."
Da dies bei weitem nicht die einzige Passage ist, in der Markennamen sowie Bewertungen und Einteilungen nach bestimmten Kategorien auftauchen, wird sich Frau Casatis Roman wohl oder übel in die Schublade mit der Aufschrift "Pop" stecken lassen müssen.
Davon mal abgesehen erfreut die Autorin außer durch Ihre klare Sprache dann und wann durch wirklich gute Beobachtungen, wie zum Beispiel die, dass Kinder die größten Spießer sind.

Zurück zur eigentlichen Handlung: Die Hauptfigur tut also ohne Zweifel alles dafür, ein richtiges Arschloch zu sein. Als eine der Verflossenen ihm mitteilt, dass sie schwanger ist, sagt er ihr nur: "Probier's gar nicht erst bei mir, du kleine Schlampe" und läßt das heulende Mädchen einfach stehen. Dass der Erzähler aber in Wahrheit doch gar nicht so selbstsicher und völlig von sich überzeugt ist, wie er es gerne wäre, macht uns Casati anhand kleiner Unsicherheiten deutlich, die sich in Formulierungen wie zum Beispiel "besser gesagt" und "oder sagen wir so" manifestieren.
Mindestens genauso wichtig wie der Sex ist bei der ganzen Sache die Geschichte der jeweiligen Auserwählten. Die saugt unser Protagonist begierig auf, um damit die reichlich vorhandenen Löcher in seiner eigenen Biographie zu stopfen. Er möchte "im Mittelpunkt einer Durchschnittsgeschichte" stehen, ein Wunsch, den man in Anbetracht seiner mehr als chaotischen Familienverhältnisse dann doch irgendwie verstehen kann. Den Vater hat er nie zu Gesicht bekommen, alles, was er von ihm weiß, ist, dass er schön gewesen sein muss, da seine Mutter plante, schöne Kinder von ihm zu bekommen.
Die Beziehung oder wohl eher Nicht-Beziehung zur Mutter hat den jungen Mann stark geprägt. Er wurde von ihr als "Hauptprojekt" betrachtet, nicht aber als Person. Aufgrund ihrer Tablettensucht, an der sie dann auch stirbt, entstand beim Sohn der Eindruck, dass sie nie richtig da wäre. Trotzdem war sie sehr vereinnahmend und duldete keine Eindringlinge im Leben des Sohnes. Darum ist die Reaktion, als die Mutter dem Jungen sagt, dass er zu ihr gehört, auch so heftig: "Ich weiß noch, ich fühlte mich einerseits geschmeichelt, denn ich liebte meine Mutter ja sehr. Andererseits machte es mir große, kalte Angst".
Diese verkorkste Kindheit ist sicherlich mit ein Grund dafür, dass der Leser trotz der fiesen Charakterzüge des Helden Mitleid und in gewissem Maße auch Sympathie für ihn empfindet. Frau Casati plaziert in Ihrem Buch geschickt Passagen, die darauf hindeuten, dass es sich bei Ihrer Hauptfigur doch nicht um ein Arschloch in Reinkultur handelt, sondern dass diese vielmehr zum Opfer der Umstände (und wenn man will auch der Gesellschaft) wurde.
Nachdem das Mädchen Z. ihn nach dem lieblos vollzogenen Beischlaf einfach rauswirft, bevor er sich wie üblich aus dem Staub machen kann und ihn dann auch noch auslacht, gesteht er sich ein, "Punkte abgegeben" zu haben und ringt sich zu folgender Erkenntnis durch: "Ach, Mädchen. Ich beneidete sie. Allein die Tatsache, dass man als Nicht-Mädchen hin und wieder etwas oder jemanden brauchte, manövrierte einen ja schon in die schwächere Position. Andererseits bin ich ja auch der Letzte, der abstreiten würde, dass sie am Ende die überlegenen Wesen sind".
Das Mädchen, das dem Erzähler am gefährlichsten wird, ist zweifellos F., die nicht besonders hübsch ist und ein großes Feuermal im Gesicht hat. Sie ist ihm in Ihrer Einsamkeit sehr ähnlich und durchschaut ihn deshalb. "Ich musst F. einfach mögen, verstehen Sie. Sie war wirklich noch schlimmer als ich". Und obwohl er sich schlecht fühlt, als er sich nicht mehr bei ihr meldet und sie ihn sogar zum weinen bringt, muss er sie verlassen, um nur ja nicht den Masterplan zu gefährden, um sich nur ja nicht zu verlieben.
Kurz danach zeigt uns Casati ihre Hauptfigur noch einmal in einem schwachen Moment und da kommen dann doch ganz konventionelle Vorstellungen vom Glück zum Vorschein: "Ich wünschte mir, in meinem Bett zu sein und das jemand ein Getränk neben mir abstellte. Ich wollte meinen Kopf in den Schoß dieses Jemandes betten, er würde mir eine Strähne aus dem Gesicht streichen, nur, um mich ganz leicht auf die Stirn zu küssen. Ich würde seine leichten, regelmäßigen Atemzüge hören. [...] Ich dachte an F". Dann wird schnell das Thema gewechselt.
Etwas überspitzt ausgedrückt kommt Frau Casati wohl zu der traurigen Erkenntnis, dass Liebe nicht immer stärker ist als unsere Systeme und Pläne und Ordnungen und dass die Angst davor, die Richtige oder den Richtigen zu finden manchmal größer ist als die Angst davor, den Menschen nicht zu finden. Nichts neues, oder?
Am Ende erhält unser Held dann nach gewohntem Schema für seine moralischen Verfehlungen die ‚gerechte Strafe'. Er wird von dem eifersüchtigen Freund des Mädchens, deren Name mit X beginnt, aus dem Fenster geworfen und landet mit schweren Verletzungen im Krankenhaus, wo er dann der bereits erwähnten Nachtschwester seine Geschichte erzählt. Von Reue oder Läuterung gibt es aber nach wie vor keine Spur. Im Gegenteil, der Ich-Erzähler ist am Ende des Buches kein Stück weiter als zu Beginn und linst sogar der um viele Jahre älteren Krankenschwester auf das Namensschild, um zu erfahren, ob sie anfangsbuchstabentechnisch in Frage kommt. Rebecca Casati zeigt uns hier also eine Figur, die nicht vorankommt, die keinerlei Entwicklung durchlebt.

Fazit: Die amüsante Story von "Hey Hey Hey" gepaart mit Rebecca Casatis treffend-witzigen Schilderungen eignet sich sicher für ein paar Stunden Zeitvertreib, mehr darf man allerdings nicht erwarten, da Casati die Oberfläche lediglich ankratzt, aber nie wirklich tiefer geht.

Casati, Rebecca, Hey,Hey,Hey, Diana Verlag, München und Zürich, 2001, ISBN 3-8284-0055-8

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