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Maud Abel

"Der Regenroman" von Karen Duve
(1999 im Eichborn-Verlag, Frankfurt a. Main)

Leon ist ein erfolgloser Lyriker und ein Mann, der weiß, wie man Frauen glücklich macht. Allerdings hält er selbst nicht viel von seinen Qualitäten als guter Liebhaber.

"Ein Mann mußte andere Qualitäten haben. Ein Mann war jemand, der einen Haufen Geld verdiente, ein Haus besaß, Kinder zeugte, Autos reparieren konnte und jedes Gurkenglas aufbekam."(S.30)

Da erhält er den Auftrag von Benno Pfitzner, einem ehemaligen Boxer und jetziger Kiez-Größe, dessen Biographie zu schreiben und wittert seinen großen Durchbruch.

"Er würde keine Lesungen mehr geben. Und er würde keine Zeitschriftenartikel mehr schreiben, sondern nur noch Bücher. Dicke, schwere Bücher eines abgeklärten gereiften Mannes." (S. 32)

Zusammen mit seiner Frau Martina zieht er von der Stadt in ein brüchiges Haus im Moor, in der Hoffnung, in dieser Idylle Motivation für seine Arbeit zu bekommen. Allerdings birgt die Abgeschiedenheit und das Moor eine Menge Schwierigkeiten für die beiden.
Der schlechte Zustand des Hauses, der ständige Regen und Unmengen von Schnecken nagen an der Beziehung von Martina und Leon

"Nichts wie weg, bevor sie wieder mit anschauen mußte, wie Leon Nägel krumm schlug oder mit dem Schraubenzieher abrutschte. Es war nicht auszuhalten, wie dämlich er sich anstellte." (S. 49)

Die einzigen Nachbarn der beiden sind die beiden Schwestern Kay und Isadora Schlei, die unterschiedlicher nicht sein können.
Isadora, eine dicke, verfressene Frau, die das Moor und Wasser liebt. Kay, ihre Schwester, ist die Burschikosere von beiden, handwerklich geschickt bietet sie Leon bald an, ihm bei dem Kampf gegen das Moor zu helfen, um das Haus vor dem völigen Verfall zu retten.
Leon läßt sich von Isadora verführen, die ihn, trotz allem Ekel, sehr anzieht.

"Es war gut. Es war so...- weich. So viel. Als würde er mit dem ganzen Moor schlafen."(S. 152)

Eines Tages tauchen Pfitzner und sein Helfer Harry, ein Freund von Leon, in Stegnitz auf. Pfitzner ist nicht zufrieden über die Biographie.

"Wieso schreibst du sie eine Scheiße? Was denkst du dir dabei?" (S. 132)

Er zwingt Leon dazu, die Biographie nach seinem Willen zu schreiben. Leon ahnt, daß seine Karriere nicht so verläuft, wie er sich das gewünscht hatte.
Schließlich sind es nicht nur die äußeren Umstände, die Leon immer mehr in die Knie zwingen. Bei dem Versuch, einen Graben um das Haus zu ziehen, um die Feuchtigkeit Einhalt zu gebieten, erleidet Leon einen Bandscheibenvorfall, der ihn ans Bett fesselt. Unfähig sich zu bewegen, wird er immer dicker, immer hilfloser und unfähig an der Biographie für Pfitzner weiter zu schreiben.
Als dieser wieder auftaucht ist der Ärger vorprogrammiert. Zuerst drohen Pfitzner und Benno dem hilflosen Leon, bis Martina schließlich brutal von Benno vergewaltigt wird. Leon ist unfähig einzugreifen. Hilfe kommt von den beiden Nachbarinnen, die die Gangster überwältigen und töten.
Nach diesem Vorfall verläßt Martina Leon, der allein in dem Haus zurück bleibt und sich völlig seinem Schicksal ergibt.

"Er mochte ja nicht einmal mehr Lesen. Lesen war Arbeit. Und er mußte nicht mehr arbeiten. Niemand konnte ihn zwingen, zu schreiben, sich zu waschen oder aufzuräumen. Okay, er war ein Versager." (S. 262)

Als das Haus schließlich völlig auseinander bricht flüchtet sich Leon ins Moor und überläßt ihm sein Leben.

"Wie gut es war, Moder unter Moder zu sein. Leon sank zurück in den Schoß seiner wahren Mutter. Irgendwann war er geboren, und jetzt starb er, und was sich dazwischen ereignet hatte, machte, wenn man es streng betrachtet, nicht viel Sinn." (S.297)

Die Schilderungen Karen Duves sind atmosphärisch dicht und sie schafft es mit kurzen Sätzen außergewöhnliche Stimmungen zu schaffen. Erschreckend ist oft die Direktheit ihrer Sprache, die dem Leser zu schaffen machen. So hat sie es geschafft, einer der heftigsten Vergewaltigungsszenen der letzten Jahre zu schreiben. Unbeirrt und direkt schildert sie die Vorgänge und schafft es, den Ekel der Situation faßbar zu machen.

"Sie sollte knien, den Oberkörper auf die Ellbogen stützen. Seine Beine an ihren Beinen. Der Stoff seiner Hosen wischte ihre Oberschenkel entlang. Die Spitze seiner albernen Krawatte kratze über ihren Rücken."( S. 239)

Diese Bedrückung wird im Regenroman sehr oft greifbar, der Text ist eine einzige Beunruhigung und scheint an manchen Stellen Grusel- oder Horrorgeschichten wesensverwandt.

Die Charaktere werden bei Karen Duve zwar greifbar, aber einer Identifizierung mit ihnen scheint man oft weit entfernt. Vielleicht liegt das auch an der Antipathie, die man ihnen im Lauf des Buches mehr und mehr entgegen bringt. Karen Duve betont stark deren Fehler, keiner ist Held oder hat nur etwas heldenhaftes an sich. Der Regen, der sich durch den ganzen Roman zieht unterstreicht die ganze bedrückende Stimmung der Geschichte. Der Regen ist lästig, schwammig, durchdringt und zerstört schließlich alles.

Natur spielt bei Karen Duve eine gewichtige Rolle. Das Wasser, der Ursprung und das Ende aller Dinge scheint im Regenroman der Grund von allem Unheil zu sein. Die Bedrohung durch Nässe und Fäulnis wird raffiniert verschärft durch fiktive Wetterberichte, die den zehn Kapiteln vorangestellt werden und von harmloser Bewölkung bis zu einem Orkantief gehen. Sie kommentieren damit den Verlauf der Handlung.

Genauso ist das Wasser eng verknüpft mit allem Weiblichen. Somit teilen sich im Roman zwei Welten: Moor und Stadt in die der männlichen und der weiblichen Welt. Die Stadt, aus der Leon und Martina flüchten ist trocken "unebener sandiger Boden, karger als eine Steppe nach der Trockenzeit" (S. 55), so beschreibt Martina die Welt, in der sie aufgewachsen ist. Leon kämpft selbst in der technisierten Großstadt mit den männlichen Rollenklischees.
Urtyp des Mannes scheint für ihn Benno Pfitzner zu sein, ein harter Mann, der sich mit Boxen und Zuhälterei sein Geld verdient. Sein Aussehen wird beschrieben wie das eines kräftigen Tieres:

"Pfitzner hatte silbergraues, schulterlanges Haar, eindrucksvoll und furchteinflößend wie das Altersprachtkleid eine Pavians." (S. 25)

In ihm, und seinem Gehilfen Harry, der alle Frauen als Prostituierte betrachtet und sich durch eine Vergewaltigung als "harter" Mann sieht, sind alle Rollenklischees eines Mannes abgedeckt.

In der weiblichen Welt es Moors regiert alles weiche. Es herrscht eine humide, drückende und schwere Atmosphäre, deren Tierreich auf Amphibien wie Frösche, Schnecken und Lurche beschränkt scheint. Das Moor ist lebensgefährlich und es kostet Mut sich dort hinaus zu wagen.
Im Moor bei Stegnitz "herrschen" die Frauen: In Priesnitz sieht man nur Frauen, ausgenommen der Krämer Kerbel, der sich jedoch heimlich als Frau verkleidet und die Macht des Moores kennt:

"Das Moor ist tückisch. Ein falscher Schritt und sie sind weg." (S.92)

Besonders hervorzuheben in dieser Welt der Frauen sind die Schlei-Schwestern. Isadora Schleis Namen läßt schon auf einiges schließen: "Isidor" ist in der griechischen Sage die Personifikation der fruchtbaren Erde, sie ist die Göttin der Unterwelt und die Beherrscherin des Wassers.
Isadora scheint der Ursprung alles weiblichen zu sein. Isadoras Erscheinungsbild ist eng mit Wasser und der Natur verbunden: Sie hat eine "Rubensfigur", dick und weich, einen "amphibenhaften Ansatz zum Doppelkinn"(S. 99), dazu trägt sie "lange Samtröcke, grün und braun und blau" (S.149) und grün lackiert lange Fingernägel. Sie ist auch die einzige Person, die sich nicht nur des Moores erwehren kann, sondern es liebt und eng mir ihm Verbunden ist.

"Wasser ist leben, Wasser macht Spaß." (S. 105)

Die Verbundenheit und Ähnlichkeit mit dem Moor, indem sie lebt, macht Leon deutlich, als er mit ihr schläft.

" Sie umhüllte ihn wie warmer Moornebel, rann an ihm herunter wie Regenwasser, gab nach wie ein weicher Grund und steigt wieder empor wie der grüne Saft einer Pflanze." (S. 153)

Isadora macht auf den ersten Blick einen kindischen und dummen Eindruck. Doch im Laufe des Buches wird immer mehr klar, daß sie eine selbstbewußte Person ist, die sich nimmt (und auch bekommt), was sie will. Auch Leon kann sich ihrer Macht nicht entziehen.

Ihre Schwester Kay ist dagegen eine Frau, die viel männliches mit sich trägt. Sie nimmt die Rolle ein, die traditionell einem Mann zugesprochen wird, erledigt Reparaturen im Haus und Garten und beschützt am Ende sogar Martina vor Harry und Pfitzner. Sie hat gelernt mit dem Moor zu leben, akzeptiert es und ist dadurch geschützt vor ihm. Es scheint, als wäre dies, wie Kerbe, die Art von "Mann", der sich mit dem Moor, dem weiblichen, arrangieren kann.

Diese Zwei-Welten-Konstellation macht den Untergang Leons und die Veränderung Martinas deutlich.
Die beiden ziehen in das Haus im Moor. Für Leon scheint es erst eine Hilfe für sein Verletztes Mann-sein und etwas, nach was er sich immer gesehnt hat.

"Er fragte sich, wie er es in der Stadt bloß ausgehalten hatte. Wie hatte er dort schreiben können? Nirgendwo würde er schreiben können wie hier. Der Anblick des Moores erfüllte Leon mit hilfloser Sehnsucht." (S.42)

Eben diese Sehnsucht scheint Leon aber langsam zu zerstören. Er schafft es nicht, sich dem Moor anzupassen, sondern muß die ganze Zeit dagegen ankämpfen. Es scheint, wie wenn eine weibliche Seite in ihm nach draußen dringen will, die er verdrängt.
Der Beischlaf mit Isadora scheint der Anfang seines Untergangs, denn da erkennt er die Schwäche, die er gegenüber Frauen empfindet.

"Fest war er diesen Frauen begegnet, und weich hatten sie ihn zurückgelassen - und mit der Sehnsucht, wieder allein zu sein." (S.154)

Mit seinem Schreiben versucht Leon die Männlichkeit und den Respekt zu erlangen, den er sich so sehr wünscht. Doch es gelingt ihm nicht. Auch die männliche Welt wendet sich, in Form von Pfitzner rund Harry, gegen ihn, indem sie ihn die Unfähigkeit eines Schriftstellers deutlich machen:

"Ein Schriftsteller ist einer, der nicht scheißen kann, weil er den ganzen Tag vor seiner Schreibmaschine sitzt und sich nicht von der Stelle rührt. Aber statt daß er nun aufsteht und ein paar Runden um den Block läuft, bleibt er sitzen und schreibt darüber, daß er nicht scheißen kann." (S. 134)

Immer mehr wird die Absicht Karen Duves deutlich, die sie in die Figur Leons steckt: Die Suche nach der Identität eines Mannes, das Mannsein an sich, hat bei ihr keine Chance. Überleben können nur die Frauen.
So ist der Untergang Leons eine logische Folge im "Regenroman". Der Mann kann sich nicht der weiblichen Welt behaupten, sondern unterliegt ihr schließlich. Hier ist es Leon, der im Moor versinkt. Wie unglücklich er als Mann war, wird ihm aber erst in seinem Todeskampf klar:

"Endlich schwand sein Bewußtsein, und Leon verließ diesen Körper, in dem er sich achtunddreißig Jahre lang nie richtig wohl gefühlt hat." (S. 298)

Karen Duve hat mit dem "Regenroman" ein eindrucksvolles Werk geschaffen, das nur auf den zweiten Blick als ziemlich feministischer Roman in Erscheinung tritt. Auf den ersten ist er ein Roman, bei dem der Leser oft ein Gefühl des Ekels verspürt, aber trotzdem gespannt weiterliest. Das Unheimliche fesselt, und so läßt Karen Duve ihren Debutroman mit einer Leiche beginnen und enden.
Karen Duve ist zudem eine Meisterin des Worts. Sie schafft es, Komik und Grauen zu vereinen und durch Virtuosität Gefühle und Sitautionen zauberhaft zu beschreiben.
Dadurch bleibt nach der Lektüre des "Regenromans" ein deutlich schaler, mooriger Geschmack im Mund, der einen an die eigenen Gedanken über Identität erinnern. Und schließlich ist man doch froh, wenn draußen die Sonne scheint und man festen Boden unter den Füßen hat.

Über die Autorin:

Karen Duve ist 1961 geboren und wohnt derzeit in Hamburg. Nach dem Abitur schlägt sie sich mit Gelegenheitsjobs durch, arbeitete als Korrektorin und Taxifahrerin, bis sie sich 1990 entschloß, nur noch von ihren Texten zu leben.
Die Autorin erhielt neben Studienaufenthalten im Rowohlt-Haus in New York und dem Stuttgarter Schloß Solitude zahlreiche Auszeichnungen für ihr erzählerisches Werk.
1995 erschien eine Sammlung von Kurzgeschichten mit dem Titel "Im tiefen Schnee ein stilles Heim", 1997 der Comic ""Bruno Orso fliegt ins Weltall" , sowie "Das Lexikon berühmter Tiere" mit Thies Völker.
1999 veröffentlicht sie "Das Lexikon berühmter Pflanzen" und, nach einem Stipendium in Schöppingen, ihr Kurzgeschichtenband "Keine Ahnung".
2002 erschien ihr zweiter Roman "Dies ist kein Liebeslied" im Eichborn-Verlag Sie erhielt den "Bettina-von-Arnim-Preis" der zeitschrift "Brigitte", den "Open-Mike" der "literaturWERKstattberlin" und den "Gratwanderpreis" des Playboy-Magazins.
"Der Regenroman" ist Karen Duves erster Roman, mit dem sie deutschlandweit Aufsehen erregte. .

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